15.000 Menschen sollen es gewesen sein, die zuletzt in Dresden mitmarschiert sind mit „Pegida“, den selbsternannten „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“.
15.000 Menschen!
(Dieser Text wurde zuerst in leicht veränderter Fassung am 16.12.2014 veröffentlicht.)
Viele von ihnen protestieren, so ist es einigen Medienberichten zu entnehmen, weil sie frustriert sind, weil sie Angst haben, und weil sie das Gefühl haben, dass die Politik nichts für sie tut, sondern nur für andere (in diesem Fall Menschen, die vor Krieg, Verfolgung, Vergewaltigung flüchten). Angesichts einer Reihe von Regierungen, deren jahrzehntelanges Scheuklappen-Credo vom ewigen Wachstum die Taschen einiger Weniger bis zum Bersten gefüllt, dabei aber einen großen Teil der Bevölkerung völlig abgehängt hat, mögen manche denken, solche Ängste seien ganz legitim. Das wären sie auch, würden sie nicht – wie in diesem Fall – von ganz rechts entzündet und geschürt. Von dort, wo man seit dem Überraschungserfolg der AfD Morgenluft wittert.
Sie sind alles andere als ahnungslos
Dass Menschen ihre Sorgen und ihre Wut bei Demonstrationen äußern, ist normalerweise ein Zeichen für eine gesunde Demokratie mit Meinungsfreiheit. Ihre Meinungen muss man nicht teilen, doch muss man sie tolerieren, solange sie unsere Gesetze nicht verletzen und niemandem Schaden zufügen. Gerade Letzteres ist jedoch längst nicht mehr der Fall. Und so mehren sich die Gegenstimmen, die den Rufen der Pegida („Wir sind das Volk!“) antworten: „Ihr seid eben nicht das Volk!“ – angesichts der wachsenden Zahlen von Demonstrant:innen (15.000 allein in Dresden) ist diese Entgegnung jedoch zu einfach. Genauso einfach macht man es sich mit Begriffen wie „Wutbürgern“ und „Frustbürgern“ oder mit dem Hinweis auf das einstige „Tal der Ahnungslosen“. Denn sie sind alles andere als ahnungslos. Sie wissen ganz genau, was sie da tun und mit wem.
Manche Beobachter:innen schütteln verständnislos den Kopf oder werden wütend, wenn eine Bewegung wie „Pegida“ ausgerechnet das schwächste Glied unserer Gesellschaft als Problem identifiziert: nämlich jene Menschen, die alles verloren haben, ihre Heimat, ihre Familien, alles, was sie kannten und was ihnen lieb war. Und die jetzt bei uns vorübergehend Zuflucht und Schutz suchen. Dass sie nun zu Sündenböcken gemacht werden, dazu haben allerdings sowohl Politik als auch Medien einen großen Teil beigetragen.
Viele belächeln, dass an einem Ort, an dem so ziemlich die wenigsten Menschen aus anderen Ländern leben, nun ausgerechnet gegen Menschen aus anderen Ländern demonstriert wird. Sie nehmen „Pegida“ deshalb nicht erst und glauben, dass das Ganze über Weihnachten ohnehin im Sand verlaufen wird. Vielleicht wird es das – doch der Stachel sitzt. Und die Wunde wird schwären – die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland und die chronische Blindheit auf dem rechten Auge werden durch Belächeln nicht verschwinden.
Tausende Bürger:innen machen sich mit Rechtsextremen gemein
Und bei all dem übersehen viele etwas, das in meinen Augen so besonders gefährlich an „Pegida“ und diesen Demonstrationen und der größte Skandal ist: dass hier nämlich Tausende Bürger:innen nicht das geringste Problem damit haben, gemeinsam mit Rechtsextremen und Neonazis zu marschieren. Damit ist eine Schranke aufgegangen, die niemals wieder hätte aufgehen dürfen.
„Wir haben die schlimmsten rechtspopulistischen, antisemitischen, rassistischen Aufmärsche seit 1945. […] Man kann jetzt im Detail beobachten, wie völkische Bewegung entsteht.“
(Jutta Ditfurth in der Kulturzeit)
So groß kann und darf aber keine Wut, keine Angst, kein Frust dieser Welt sein, dass man sich mit Menschen gemein macht, die den Nationalsozialismus verherrlichen, den Holocaust entweder leugnen oder aus tiefstem Herzen befürworten, die Hass gegen andere Menschen, gegen unsere Demokratie und unsere Freiheit säen. Egal wie (vermeintlich) gleich die Ziele sind. Was fällt diesen Menschen eigentlich ein, sich hier in diesem Land, keine 70 Jahre nach Kriegsende, Seite an Seite mit Rechtsextremen auf die Straße zu stellen und laut im Chor zu brüllen? Dabei ist es vollkommen egal, ob es nur eine:r oder mehr als zehntausend Rechtsextreme sind, mit denen man da marschiert.
Was muss man nun aus der Tatsache schließen, dass es doch so viele tun, und dass sich 15.000 Demonstrant:innen mit Rechtsextremen solidarisieren? Muss man automatisch daraus schließen, dass all diese Demonstrant:innen im Grunde mehr oder weniger fest davon überzeugt sind, dass die Neonazis, die Rechtsextremen und Leute wie die von der NPD und der AfD doch gar nicht so unrecht haben? Dass sie möglicherweise wirklich alle rechtsextrem denken? Der Gedanke liegt durchaus nahe.
Rechtsextremismus oder Paradebeispiel für politische Dummheit?
Es sei denn … Kennen Sie „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch? Wenn nicht, lege ich Ihnen die Lektüre sehr ans Herz. Denn das, was gerade in Dresden passiert, ähnelt nur allzu sehr dem, was bei Frisch passiert: Biedermann gibt den Brandstiftern einen Unterschlupf, hilft ihnen gar, die Zündschnur für ihr Verbrechen zu vermessen. Und am Ende gibt er ihnen noch die Streichhölzer, mit denen sie sein Haus in Brand stecken – alles in dem Glauben, dass sie das, was sie laut verkünden: nämlich Häuser anzuzünden, eigentlich gar nicht so meinen. Denn kein Mensch kann so etwas ernst meinen. Oder?
Das Stück ist, so Wikipedia, „ein Paradebeispiel für die politische Dummheit“ der Bürger:innen. Und genauso ist Pegida ein Paradebeispiel für die unfassbare politische Dummheit jener, die sich machtlos fühlten und nun im Sog des Gefühls, „endlich“ für „das Richtige“ aufzustehen, ausgerechnet mit Rechtsextremen gemein machen.
Falls Sie jetzt denken sollten: „Na gut, Dummheit ist nicht strafbar. Also, was soll’s?“ – dann haben Sie in den letzten Wochen nicht genau genug Zeitung gelesen. Denn u. a. auf Spiegel Online stand, dass die CDU in Thüringen gerade – laut SpOn sogar mit dem Segen der Bundeskanzlerin – bislang kategorisch ausgeschlossene, nun aber dann doch sehr konkrete Kooperationsgespräche für einen gemeinsamen Ministerpräsidentschaftskandidaten mit der AfD geführt habe. Und wo die AfD steht, bewies Bernd Lucke spätestens am Wochenende bei Günther Jauch und beweisen die AfD-Mitglieder, die bei „Pegida“ dabei sind.
Ganz einträchtig marschieren also nun Biedermanns Nachkommen wieder Seit’ an Seit’ mit Rechtsextremen durch Deutschland.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?
2 Gedanken zu „Was ist so gefährlich an „Pegida“?“