Ich bekomme häufig Anfragen von Schüler:innen und Studierenden journalismusferner Fächer, die Porträts schreiben sollen, aber nicht wissen, wo sie damit überhaupt anfangen sollen. Daher hier mal ein paar ganz grundsätzliche Tipps für den Einstieg.
Der erste und zugleich wichtigste Schritt ist: Porträts lesen. Lesen Sie so viele und so unterschiedliche Porträts wie möglich. Sie sollten sowohl von unterschiedlichen Journalist:innen geschrieben worden sein als auch zu unterschiedlichen Anlässen, und unterschiedlichen Stils sowie unterschiedlicher Länge sein.
Fangen Sie bei den Kurzporträts Ihrer Lokalzeitung zu einem Jubiläum o. Ä. an. Lesen Sie Porträts in den Online-Archiven der überregionalen Zeitungen. Und besorgen Sie sich Porträts, die in Buchform erschienen sind (z. B. von Marie-Luise Scherer, Sabine Eichhorst, Erwin Koch, Alexander Osang oder von mir).
Je mehr ganz unterschiedliche Porträts Sie lesen, desto eher bekommen Sie ein Gefühl für die folgenden, für Porträts entscheidenden Dinge, z. B. dafür …
- was aus Ihrer Sicht gut und was nicht gut ist,
- was funktioniert, was nicht,
- welche Fragen Sie stellen sollten, welche nicht,
- welche Inhalte wir wirklich nicht mehr lesen wollen, weil wir sie woanders auch schon hunderttausendmal gelesen haben und weil wir die Klischees satt haben,
- wie stereotyp oder wie außergewöhnlich die Menschen dargestellt wurden und mit welchen Worten und Satzkonstruktionen,
- wie Sprache als Stilmittel eingesetzt wurde,
- welche Inhalte fehlen,
- welche Fragen noch hätten gestellt werden können, um das Porträt interessanter zu machen,
- welche Einstiege toll sind, welche nur langweilen und warum,
- welche Erwartungshaltung diese Einstiege schaffen,
- wie die Porträts aufgebaut sind,
- wie Spannung erzeugt wird,
- wie das Ende gestaltet ist und welchen Eindruck, welche Gefühle es hinterlässt,
- usw.
Gehen Sie auch mal zu Ihrer Lokalzeitung und fragen Sie die Kolleg:innen dort nach Tipps – sie werden nicht immer Zeit haben, aber ein paar gute Praxistipps könnten Sie dort auch bekommen. Wenn Ihre Zeit nicht reicht, um zig Porträts zu lesen, dann suchen Sie so lange, bis Sie zwei, drei Porträts finden, die Ihnen richtig gut gefallen. Und dann untersuchen Sie sie nach den oben genannten Faktoren auch auf die folgenden:
- Welche Fragen haben wohl dazu geführt, dass das Porträt so geschrieben wurde?
- Wie mag das Gespräch wohl ausgesehen haben?
- Welche Atmosphäre vermitteln die Porträts?
- Welchen Eindruck vermitteln sie von der porträtierten Person – am Anfang, in der Mitte und am Schluss?
- Was mögen die Journalist:innen vorab über die Person recherchiert haben, um den Menschen diese Details zu entlocken?
- Wie persönlich wurden sie in den Gesprächen, wo waren die ethischen Grenzen?
- Wie sind sie mit der Privatsphäre der Personen umgegangen?
- usw.
Und anhand dessen, was Sie aus dieser Analyse ziehen, bauen Sie Ihre eigene Recherche und Ihre Interviewfragen auf. Für alle weiteren Schritte bezüglich der Vorbereitung und des Interviews finden Sie hier im Blog ausreichend Hilfen. Nur schreiben müssen Sie das Porträt anschließend selbst. 😉
Wenn Sie dennoch eine Schreibberatung wünschen oder eine Einschätzung Ihres Porträts, können Sie mich gerne buchen. Bitte beachten Sie jedoch: Ich nehme keine Aufträge für Schul- oder jedwede (Abschluss-) Arbeiten an, die benotet werden. Schließlich soll Ihre eigene Leistung benotet werden, nicht meine.